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"Make Love not War", Foto: stuttgarter-zeitung.de

Schwarz-Weiß-Malerei

Da mag sich mancher verdutzt die Augen reiben - vor ein paar Jahren sprach der russische Präsident Wladimir Putin im Bundestag, noch dazu in deutscher Sprache. Und nun blasen unsere Medien zur Attacke: "König Putin", "Der böse Zar!" und "Kalter Krieg" giftete allen voran die BILD-Zeitung. "Der Hohn, den Putin über seine Gegner ausgießt, die Eiseskälte, mit der er droht, schmeicheln seinem Größenwahn", hetzte Rechtsaußen Ernst Elitz gegen Russland. Auch Frau Hillary Clinton vergriff sich im Ton, verglich Putin gar mit Hitler. Sollte etwa die alte Schwarz-Weiß-Malerei der USA ("Der böse Russe"), aus den 70ern und 80ern noch sattsam bekannt, ihr Comeback feiern?

Drei Nazi-Minister in der Ukraine

Was ist eigentlich passiert? Zunächst demonstrierten Tausende Menschen in Kiew unter Leitung von Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko und dem Faschisten Oleh Tjahnybok gegen die Regierung von Viktor Janukowitsch. Schließlich fegte es Janukowitsch aus dem Amt; dieser floh mit Koffern nach Russland. Stolz präsentierte die neue Regierung der Ukraine einen ebenso neuen Ministerpräsidenten: Arsenij Jazenjuk, Wunschkandidat der USA. Dazu ein Kabinett mit immerhin drei Nazi-Ministern.

Dann richtete sich der Fokus plötzlich auf die Halbinsel Krim, die da noch zur Ukraine gehörte, wo im Hafen von Sewastopol immer noch die russische Schwarzmeerflotte vor Anker liegt, inklusive schwerer Atom-U-Boote. Problem: Ungefähr 200 Jahre gehörte die Krim zu Russland; allerdings schenkte sie im Jahr 1954 der sowjetische Machthaber Nikita Chruschtschow, selbst Ukrainer, seiner Heimat. Was viele Russen nie akzeptierten. Vor allem, weil wegen der Schwarzmeerflotte die begehrte Halbinsel für Russland ein strategisch wichtiger Punkt darstellt. Daher aktivierte der russische Staatspräsident Wladimir Putin die dortigen russischen Truppen, die sich per Vertrag dort aufhalten dürfen. Allerdings steckte er seine Leute in neutrale Uniformen, was es westlichen Staatsleuten schwer machte, die Situation einzuschätzen.

"Die Halbinsel Krim", Foto: krim-reise.de

Referendum und Sanktionen

Dass auf der Krim immerhin über 60 Prozent Russen leben, spielte Putin in die Hand. Flugs organisierte dieser ein Referendum, fragte die knapp 2,5 Millionen Einwohner, ob sie in der Ukraine bleiben oder fortan zu Russland gehören wollten. Nach dem Auszählen offenbarte sich keine große Überraschung: Immerhin 95 Prozent von ihnen stimmten für den Anschluss an Russland. Und schwupps zahlen die Menschen dort mit Rubel statt mit Hrywnja. Wie ein Blitz schuf der Kremlchef Fakten. Allerdings sollte der Westen anerkennen, wenn eine klare Mehrheit Richtung Russland tendiert. Und was machen der Westen und die USA? Sie belegen Mütterchen Russland mit Sanktionen und drohen weitere an.

Was soll das alles? Zunächst stimmt wohl, dass die russische "Annektion" der Krim mit dem Völkerrecht kollidiert. Allerdings verweist Putin auf den Kosovokrieg von 1999 und der Folge, dass der Kosovo seit 2008 als unabhängiger Staat gilt. Der springende Punkt laut Gregor Gysi: Die Nato griff Serbien damals ebenso völkerrechtswidrig an. Denn Serbien hatte kein anderes Land angegriffen, und es gab keinen Beschluss des UN-Sicherheitsrates. Dieser Vergleich soll nicht etwa diese Aktion von Putin entschuldigen, jedoch hilft er, den russischen Standpunkt zu verstehen. Schlimm genug, dass die Lage sich derart entwickelte. Jedoch entgegnet Gysi, seit Fall der Mauer nahmen westliche Politiker zu beiden Seiten des Atlantiks die russische Führung kaum mehr ernst: "Alles was Nato und EU falsch machen konnten, haben sie falsch gemacht."

Von Lissabon bis Wladiwostok

1990 schlug nämlich der damalige Staatspräsident der Sowjetunion Michail Gorbatschow ein "Gemeinsames Europäisches Haus unter Auflösung der Nato und des Warschauer Paktes" vor - eine Riesenwirtschaftszone von Lissabon bis Wladiwostok. Wobei auch für Russland eine sichere Lösung gefunden werden sollte. Doch die Nato schlug dies aus - ein Fehler, wie sich heute zeigt. Ferner sicherten George Bush Sr. und Hans-Dietrich Genscher dem Präsidenten Gorbatschow zu, die Nato würde sich nicht weiter nach Osten ausdehnen. Aha, wie sieht es heute aus? Das nordatlantische Bündnis wuchs stattdessen immer weiter, bis sich die Russen regelrecht eingekreist sahen. Der nächste Fehler! Und da wäre noch der seltsame US-Raketenschild, bei dem in Polen und Tschechien amerikanische Raketen stationiert werden sollten. Auch wenn US-Präsident Barack Obama dieses Projekt stutzte, bleibt es ein Missgriff.

"Helmut Schmidt versteht Putin", Foto: t-online.de

Jeder dürfte auch nachvollziehen können, dass Putin seine Schwarzmeerflotte - samt Kreuzer, Zerstörer und Atom-U-Booten - nicht den chaotischen Zuständen der Ukraine aussetzen wollte. Stattdessen sicherte er seine Seestreitkräfte - was im umgekehrten Fall die Amis ebenso durchgezogen hätten. Was nutzen Sanktionen? Während die CDU mit Frau Merkel Uncle Sam mal wieder hinterherläuft, legen erfahrene, alt gediente Staatsmänner wie Helmut Schmidt ihr Veto ein: Als "durchaus verständlich" bezeichnete Altkanzler Schmidt das Vorgehen von Russlands Präsidenten und kritisierte die Sanktionen der Europäischen Union und den USA als "dummes Zeug". Denn in erster Linie hätten sie symbolische Bedeutung und träfen beide Seiten des Konfliktes. (Beispielsweise könnten, sofern die Spirale sich weiter aufschaukelt, in Bayern die Lichter ausgehen.) Auch den Rauswurf Russlands aus dem G8-Zusammenschluss hält der SPD-Grande für einen Fehler.

Die Ziele der USA

Spricht also viel dafür, statt in immer neue Drohgebärden zu verfallen, besser wieder zu verhandeln. Offiziell schließen die USA und die deutsche Regierung Gespräche nicht aus, allerdings müsste zuvor Putin die Krim wieder hergeben. Aber wie realistisch ist das denn? Wie bereits geschildert, war die strategisch wichtige Halbinsel über 200 Jahre im russischen Besitz. Warum stellen die Amerikaner eine derart hohe Hürde? Oder anders gefragt: Welche Interessen verfolgen eigentlich unsere "Freunde" aus Übersee? Dazu fand der altverdiente SPD-Politiker und Friedensaktivist Erhard Eppler in der Talkshow von Anne Will am 26. März deutliche Worte: "Die Amerikaner wollen die Europäer, damit die Deuschen, stärker an sich binden. Sie sollen wieder Angst vor den Russen haben". Eine These, welche einleuchtet; in Zeiten des Kalten Krieges erschien die Bindung an die USA fester als heutzutage. Wenn wir noch das merkwürdige Freihandelsabkommen mit Washington in Betracht ziehen, entsteht ein schrecklicher Verdacht: Womöglich könnte es sein, dass die USA uns nur als günstigen Absatzmarkt betrachten. Na servus!

Aber wie weit wollen die Amis als treibende Kraft eigentlich gehen? Reicht es ihnen, wenn Deutschland seine Wirtschaftsbeziehungen zu Russland auf Eis legt? Das glaubt "Mr. Dax", Dirk Müller, nicht. Er denkt, die Vereinigten Staaten wollen mitten in Europa zwischen dem Westen und Russland einen Krieg vom Zaun brechen oder ihn wenigstens riskieren. Mit dem Ziel, Europa zu schwächen und die EU stärker von den USA abhängig zu machen. Ins gleiche Horn bläst Paul Craig Roberts, renommierter Historiker an der Harvard Universität in Boston: Die deutsche Kanzlerin laufe, diplomatisch ausgedrückt, den Amerikanern hinterher und habe die Souveränität des deutschen Staates abgetreten. Währenddessen setzt Obama die Russen unter Druck, verlangt, dass die Krim bei der Ukraine bliebe.

Aber Washington weiß, dass der Verlust der Schwarzmeerflotte Wladimir Putin ärger trifft als ein paar Sanktionen. Warum also beharrt Amerika auf seinen Bedingungen? "Die Antwort lautet, um die Krise in den Krieg zu treiben. Washingtons neokonservative Kreise haben schon seit langer Zeit den Krieg gegen Russland propagiert", erklärt Roberts. Ziel sei, Russland als Störfaktor zu beseitigen. Bleibt zu hoffen, dass der Geschichtsprofessor aus Boston irrt, und es nicht soweit kommt.

"Heißer Draht", Foto: t-online.de

Ein folgenschwerer Anruf

Was tun? Im Augenblick sieht es so aus, als unterstützen Obama und Merkel - leider auch die Grünen - die neue Regierung in Kiew. Wie bitte? Mindestens drei Nazis finden sich im Kabinett, allen voran Ober-Faschist Oleh Tjahnybok, ein echter Finsterling. Grölte dieser vor einiger Zeit glatt: "Russen raus! Deutsche raus! Judenschweine raus!". Kaum zu glauben, saß dieser sinistre Typ bei Verhandlungen schon mal zwei Stühle neben Steinmeier. Und jetzt sollen auch noch Milliarden in eine solche Ukraine fließen? Als sei das Fass noch nicht voll, setzt die milliardenschwere, nationalistische Blondine Julia Timoschenko noch einen obendrauf und schimpft in einem Telefonat in vulgärer Weise über Präsident Putin. Dabei fielen die Vokabeln "Kalaschnikow" und "Dreckskerl". Will die deutsche Regierung und die EU auf solche Irrlichter bauen? Hoffentlich nicht!

Einen teilweise besseren Ansatz bietet ausgerechnet Amerikas Graue Eminenz und Hardliner Henry Kissinger mit seinem Vier-Punkte-Plan. "Die Dämonisierung von Wladimir Putin ist keine Strategie; es ist ein Alibi für die Abwesenheit einer Strategie", kritisiert er die Taktik des Westens. "Dieser habe keinen Plan." Auch gegen Putin teilt er verbal aus: "Die Ukraine kann nicht in einen Satellitenstatus zurück gedrängt werden." Der gewiefte 90-Jährige wirft beiden Seiten vor, die Interessen der jeweiligen Gegenseite zu missachten. Nun hat er ein Papier mit vier Punkten entwickelt und stellt es zur Diskussion. Darin schlägt er für die Ukraine das "Finnland-Modell" vor: Denn der nordische Staat ist zwar Mitglied der EU, aber eben nicht der Nato. Dies könne auch für die Ukraine gelten. Damit bekäme das geschundene Land, welches kurz vorm Bankrott steht, einen neutralen Status und bliebe politisch souverän. Aber leider beharrt auch Herr Kissinger darauf, dass Russland die Krim zurückgibt, wenn auch mit eigener Verwaltung. Aber dies bleibt wohl ein Wunschkonzert. Und ob die bankrotte Ukraine unbedingt in die Europäische Union muss, erscheint mehr als fraglich.

Deutschland und die EU täten gut daran, sich der Realität auf der Krim zu stellen und wieder auf Augenhöhe mit unserem mächtigen Nachbarn im Osten zu sprechen. Denn in Europa darf es keinen Krieg mehr geben; das will hier niemand, und davon hat hier keiner was! Einer aktuellen Meldung gemäß hat Herr Putin Mr. Obama im Weißen Haus angerufen. Demnach sollen sich beide Außenminister, John Kerry und Sergej Lawrow, zu einem vertraulichen Gespräch treffen. Ob aber die elende Schwarz-Weiß-Malerei der Amis, welche die Welt in Gut und Böse einteilt ("Schurkenstaaten"), an dieser Stelle ein Ende findet? Leider geht die Putin-Hatz dank Schäuble und Nato in die nächste Runde.

"Die Gedankenspiele der Frau von der Leyen", Foto: spiegel.de

Joachim Eiding

Quellen: www.welt.de - www.sueddeutsche.de - Prof. Dr. Paul Craig Roberts - www.fr-online.de - www.n-tv.de - BILD-Zeitung

 

music4ever.de - Extra - Nr. 82 - 04/14