Zugegeben, Jubiläen gibt es viele. Manche rieseln an uns vorbei, manche hingegen treffen uns tief ins Herz. So auch, als sich Mitte Juli alle Zeitungen und Magazine mit der Nachricht überschlugen, die Rolling Stones existierten nun schon ziemlich genau 50 Jahre. Zum Mitschreiben: damit meinten dieAutoren immerhin ein halbes Jahrhundert. Also genauso lang wie vom Versailler Vertrag bis zum ersten Mondflug und von der Erfindung des Telefons bis zur drahtlosen Telegrafie. Eine ziemlich lange Zeit, gefühlte Jahrhunderte. Und doch gelang es einer Musiktruppe, bis in unsere Tage durch ihre blues-orientierten Rock-Songs im Gespräch - und in den Ohren zu bleiben: eben die "Stones", wie sie von ihren Fans genannt werden. Mit ihrem Front- und Showmann Mick Jagger, Sohn eines Physikers, und seinem "Alter Ego" Keith Richards, der nach Jahren von Whiskey und schlimmeren Versuchungen nun eher seiner eigenen Karikatur gleicht.
Am 12. Juli 1962 bestritten die damals noch unbekannten Musiker ihren ersten Auftritt im Londoner "Marquee Club". Neben Jagger und Richards gehörten der Drummer und Antiquitäten-Fan Charlie Watts, Bassist Bill Wyman und Gitarrist Brian Jones zur Gruppe. Mit konstanter Bosheit setzten sich die Fünf fortan über bürgerliche Konventionen hinweg, probierten schrägen Sex, schnupften und rauchten allseits bekannte Drogen. Auf diese Weise mutierten sie zu den "Bad Guys" - dem bösen Gegenentwurf zu den damals noch braven Beatles, welche gar mit der Queen in Buckingham Tee schlürften. Obwohl die Fab Four ihnen im Jahr 1963 den Lennon-McCartney-Song "I Wanna Be Your Man" als zweite Single-Platte schenkten.
Die Glimmer Twins
Nach diesem Vorbild begannen Jagger und Richards, alsbald als die so genannten "Glimmer Twins" ebenfalls zusammen Songs zu schreiben. Das Konzept ging auf, das Resultat konnte sich sehen (bzw. hören) lassen: Ab Mitte der 60er hagelte es Hits am Fließband: "It's All Over Now" und "Time Is On My Side" (1964), "The Last Time" und "Get Off Of My Cloud" (1965) und "Paint It Black" (1966) und "Let's Spend The Night Together" (1967) brachte den jungen Rebellen Ruhm und Ehre ein. Aber als ihr bis heute wohl größter Erfolg gilt ihre Hymne "(I Can't Get No) Satisfaction" von 1965. "So lange schon her?", mag mancher staunen. Ja, wie schnell die Zeit vergeht.
Allerdings mischten sich gegen Ende der 60er auch verhaltene Töne in die Songs der Band: so heißt es im "Street Fighting Man" von 1968: "Aber was kann ein armer Junge anderes tun, als in einer Rock'n'Roll-Band zu spielen". Interessant, dass solche Sätze seinerzeit fast völlig untergingen. Wer hingegen meint, die Stones stünden für eine einseitig laute Gitarrenmusik, irrt: Schon früh begannen sie, ähnlich wie die Beatles, zu experimentieren, wagten sich teils auf neues musikalisches Terrain: So stand beim Song "You Can't Always Get What You Want" (1969) der Londoner Bach-Chor im Studio; Jahre später riskierten sie einen Schlenker zum Sound der Beach Boys (Song "Emotional Rescue"; 1980) oder orientierten sich am Reggae und am Disco-Sound (Song "Miss You"; 1978).
It's Only Rock'n'Roll
Auch ihre Langrillen wie beispielsweise "Their Satanic Majesties Request" (1967) - als Gegenentwurf zu "Sgt. Pepper" -, Exile On Main Street" (1972) und "Some Girls" (1978) ließen aufhorchen. Fazit: Anders als viele Beatbands konzentrierten sich die Stones nicht nur auf den Markt der kleinen 45er, galten ebenso als eine Band für Alben. Wenn auch das eine oder andere nicht ganz so harmonisch und ausgereift rüberkam. Beispiel: die 74er Langrille "It's Only Rock'n'Roll". Von den Vorgänger-Alben verwöhnt, zeigten sich die Fans diesmal enttäuscht. Dokumentierte das Werk deutlich die Krise, in der die Gruppe steckte: Kurz später stieg der erfahrene Gitarrenvirtuose Mick Taylor entnervt aus; ihm folgte Ron Wood, bis heute dabei. Und die Songs gerieten teilweise arg monoton, sehr blueslastig; manchem experimentierten die fünf Musiker einfach zu viel. Obwohl der Titelsong mit seinen Riffs, welche stark an Chuck Berry erinnerten, durchaus seinen Reiz ausübt. Inhaltlich fragte Mick Jagger seine Fans in diesem Song, wie weit er als Rockstar auf der Bühne gehen darf.
Was die Besetzung der Stones angeht, überwand die Rockband Höhen und Tiefen: Am 3. Juli 1969 fand eine Krankenschwester den toten Brian Jones auf dem Grund des eigenen Swimmingpools. Bis heute halten sich hartnäckige Gerüchte, der Musiker sei ermordet worden. Knapp einen Monat vor seinem Tod hatten Mick Jagger und Keith Richards den Musiker wegen seiner Drogenprobleme aus der Band geworfen. Als neuer Mann engagierte die Band den Virtuosen Mick Taylor. Allerdings kam er irgendwie Keith Richards in die Quere, dass Taylor im Jahr 1975 das Handtuch warf, worauf nun - wie gesagt - Ron Wood einstieg. Und dieser passte zur Gruppe wie die Faust aufs Auge.
Talk mit dem Präsidenten
Zu Beginn der 80er zeigten sie sich wieder mit der Album "Tattoo You" ganz als die alten Rüpel, verzerrte Gitarrenklänge, mit Disco-Spritzern aufgepeppt. "Nun sind wir angesehen in der Gesellschaft. Und die Sachen von früher sind vergessen. Mit dem Präsidenten sprechen wir über Heroin", röhrte Jagger einmal selbstironisch. Während das fetzige "Start Me Up" auf Rang Zwei der BBC-Charts landete. Äußerst lukrativ auch die Mega-Tournee 1981/82 durch die Staaten und Europa, welche der Gruppe rund 50 Millionen Dollar einbrachte. Nach weiteren Langrillen wie "Undercover" (1983), "Rewind" (1984) und "Dirty Work" (1986) begann sich die Band ganz leise aufzulösen. Vom eigenen Erfolg betört schnappte sich Mick Jagger Studiomusiker, spielte unter dem Namen "Rolling Stones" auf diversen Bühnen.
Als Mick gegen 1988 seine ehemaligen Mitstreiter traf und sie zu einem neuen gemeinsamen Projekt überreden wollte, machte ihm Keith Richards eine klare Abfuhr: "Mick führt sich auf wie ein Diktator. Außerdem will er nur deshalb wieder mit uns auftreten, weil er als Alleinunterhalter nur geringe Erfolge hat", schimpfte Richards. Doch der altgediente Gitarrist schwenkte um, überraschte Jagger mit seinem Okay zu einer neuen Show. Nachdem der Bandleader eine Supergage von mindestens 50 Millionen Dollar aushandelte, konnte die Tour zur 89er LP "Steel Wheels" starten. Allerdings mit dem Makel, dass Kritiker das Werk in Grund und Boden zerrissen. "Steel Wheels machte auf peinigende Weise deutlich, dass die Rolling Stones nichts im Repertoire hatten, was schwarze Rhythm & Rock-Musiker nicht bravouröser darbieten könnten", beklagte ein bekanntes Rock-Lexikon einst. Nur seien die Fünf besser in der Lage, ihren Sound zu verkaufen. Jedoch gelang es den britischen Musikern, wie gewohnt alte Fans auf ihre Seite zu ziehen.
Besetzungskarussell
Wenig später machte die Band abermals durch ihr Besetzungskarussell von sich reden: Bill Wyman, Bassist der Truppe, kehrte Anfang 1993 den Stones den Rücken. Als ein Reporter Mick Jagger schließlich fragte, ob dieser sich vorstellen könne, dass Wyman irgendwann zurückkehre, entgegnete der Frontmann barsch: "Die Stones verlässt du nur im Sarg." Damit war alles gesagt! Seitdem ziehen die "Rollenden Steine" eben zu viert durch die Lande. Auch musikalisch legten sie im Jahr 1994 wieder zu: Das Werk "Voodoo Lounge" heimste durchweg positive Kritiken ein, ergatterte als "Bestes Rock-Album 1994" gar einen Grammy. Die zugehörige Tournee, in Europa gesponsert durch Volkswagen, mutierte zum absoluten Megaerfolg; satte 300 Millionen Dollar konnte sich die Band gutschreiben.
Doch das Album "Bridges To Babylon" von 1997 zeigte das Dilemma der Band in den 90er Jahren: Zwar füllten die Rolling Stones immer noch die größten Hallen und Arenen und pushten auf diese Weise ihre Alben. Allerdings mit dem Pferdefuß, dass sie den Anschluss an die internationalen Charts verloren haben. Die Langrille, vorzeitig als "entspanntes Alterswerk" gelobt, erwies sich als Sammlung von Tracks, die sich offenkundig mit dem Älterwerden beschäftigen. "Diese Songs klingen hohl. Niemand erwartet, sie in zwei Jahren noch zu hören", kritisierte Jon Pareles in der "New York Times". "Es gibt viele Möglichkeiten, einen Song zu spielen. Aber was immer du brauchst, ist ein Groove", konterte Stones-Boss Jagger. Allen Unkenrufen zum Trotz erfreut sich die Skandaltruppe nach 200 Millionen verkaufter Alben immer noch größter Beliebtheit. Im nächsten Jahr soll sogar eine neue Tour folgen, wenn der gesundheitlich angeschlagene Keith Richards wieder fit wird. Zwecks Jubiläum warf der Prestel-Verlag den Bildband "50" auf den Markt. "Die Leute fragen mich immer, was uns zu dem macht, was wir sind. Wenn ich das wüsste, würde ich's in Flaschen abfüllen und verscherbeln", witzelt Richards gern.
Der kleine Mick
Noch ein paar Worte zu den so genannten "Glimmer Twins": Wie der Rockfan wissen dürfte, spielt das Verhältnis der zwei Songwriter Jagger und Richards zueinander eine erhebliche Rolle für die Zukunft der Band. Erstmals kriselte es in den 80ern: Jagger erfassten unrühmliche Starallüren, wogegen sein Konterpart auf die Barrikaden ging. Als dann in den 90ern Wyman die Band verließ, entpuppten sich die Stones allmählich als ein Großunternehmen, mit Businessman Jagger an der Spitze. "Mick kümmerte sich um das Unvermeidliche, ich um die Drogen", kommentierte Richards nicht ohne Spott. Als dann noch Keith in seiner Autobiografie Jaggers "kleinen Mick" (laut K. Richards) aufs Korn nahm, war der Ofen erstmal aus. Erst nach einer Aussprache und einem gemeinsamen Interview rauchten beide die Friedenspfeife. Warten wir ab, ob mit Erfolg. Das Jahr 2013 wird es ans Licht bringen.
Joachim Eiding
Quellen: Das neue Rock-Lexikon, Barry Graves, Siegfried Schmidt-Loos und Bernward Halbscheffel, Rowohlt - www.musicline.de - Münchner Merkur - www.wz-newsline.de - www.berliner-zeitung.de
music4ever.de - Anekdote - Nr. 69 - 8/12