(Teil 1)
"Wenn Du da stehst, mein Freund, und wenn Du erkennst: Hier geht es nicht mehr weiter. Hier ist die Welt zu Ende! Dann geht in Dir etwas vor, dass Du nicht beschreiben kannst und von dem Du weißt, dass Du es immer fühlen und nie vergessen wirst. Aber, Du darfst nicht mit dem Flugzeug hierherkommen. Du musst Meile für Meile selbst gemacht haben - bis hierher. Dann erst wirst Du dieses Gefühl haben. Du wirst es für Dich behalten müssen, weil Du es nicht beschreiben kannst. Auch dann nicht, wenn Du ein Schreiber bist." Mit diesen Worten schloss der bekannte, 2010 verstorbene Reisejournalist und Autofan Fritz B. Busch Anfang Januar 1975 nach laut Tacho 30514 Kilometern Autofahrt, an der rauen Südspitze Feuerlands, sein Tagebuch. Und schrieb Geschichte: In nur knapp drei Monaten brausten Busch und sein Team, dem sich auch der bekannte Fotograf Frank Müller-May anschloss, vom eisigen Fairbanks in Alaska durch einsame kanadische Wälder und knallige US-Glitzermetropolen, über staubtrockene Wüstenrouten und löchrige Schotterpisten, kämpften sich durch dampfenden Dschungel und über schwindelerregend hohe Andenpässe bis zur Eismeerküste, mit freiem Blick auf Kap Hoorn und die weiße Hölle der Antarktis.
Das letzte Abenteuer der Menschheit
Auch oder gerade in einer digital gesteuerten Welt gilt sie doch seit eh und je als das wohl letzte Abenteuer der Menschheit: die Panamericana - jene unvorstellbar lange Straße von Alaska bis Feuerland. Schon auf der Landkarte präsentiert sich diese "Traumstraße" derart endlos, dass sie unmöglich in einen einzigen Kartenausschnitt passt, will der Reisende Details einer speziellen Landschaft erkennen. Still übt diese Melange aus Highway, Landstraße, Sandpiste und Trampelpfad quer durch den amerikanischen Doppelkontinent, streckenweise "nur" als Straßennetz existent, auf Globetrotter, Reiseautoren und Aussteiger ihren Reiz aus, und weckt unstillbares Fernweh, welches oft nur mit einem Flug-Ticket und einem brauchbaren, möglichst bunten VW Bully kuriert werden kann. Allerdings verstand sich Fritz Busch nie als Kulturflüchtling, Späthippie oder gar als normaler Tourist. Vielmehr schickte ihn Volkswagen auf die lange und gefährliche Fahrt, um - auch wenn es noch so banal klingt - den damals neuen Golf inklusive Reifen und Benzin der Härte dieser Strecke auszusetzen. Bei dieser Gelegenheit sei sein Reisebuch "Der große Test - Mit dem Auto von Alaska nach Feuerland" empfohlen. Wohltuend setzt sich dieser Bericht durch seine kritische Sicht brisanter Probleme (Indianer, Armut) von der Konkurrenz ab.
Vor Busch, der "mit benzingetränkter Feder" schrieb und vielen als großer Pionier der Panamericana gilt, wagte sich der Filmproduzent und Dokumentarfilmer Hans Domnick bereits 1958 als nahezu Allererster an diese Mammuttour, zog mit Wohnwagen und exklusiver Cinemascopekamera vom damals noch kaum ausgebauten Alaska Highway bis zur gerade erbauten, futuristischen Metropole Brasilia, lenkte sein Gefährt sogar durch den unwegsamen Dschungel bis zur Ostküste von Argentinien. Domnick, der einst gar an Curt-Goetz-Filmen mitwirkte, legte 1969 den wunderschönen Bildband "Traumstraße der Welt" vor und drehte über seine Reise auch einen Farbfilm gleichen Namens. Seitdem trauten sich viele Reisemutige an dieses interessante, bunte, aber auch entbehrungsreiche und immer noch gefährliche Abenteuer. Autoren wie Klaus Dunkelberg, Helmut Hermann, Roland E. Jung, Vivien und Wolf Weise, sowie der Motorradfahrer Burkhard Schäck und Clemens Carle, der die komplette Tour per Rad strampelte, beleuchten die Mutter aller Straßen jeweils auf ihre persönlicheWeise. Wer also in ihre Fußstapfen treten möchte, sollte besser viele Stunden in Büchereien verbringen und sich sehr viel Wissen aneignen, bevor an eine solche "Ochsentour" überhaupt zu denken ist. Aber keine Angst, trotz allem bleibt die Panamericana eine echte Herausforderung. Oder wie Fritz Busch einmal sagte: "Man darf nicht einmal den Straßenkarten vertrauen. Der See, der auf der Karte östlich des Weges liegt, den findet man vermutlich westlich des Weges. Falls es ihn überhaupt gibt" …
Der phantastische Plan
Wie aber kam es überhaupt zum Bau dieser gewaltigen Strecke? Während in Nordamerika Engländer, Franzosen, Spanier, Deutsche und Holländer für Jahrhunderte den Kontinent von Ost nach West durchstreiften, und in Südamerika Portugiesen und Spanier nur an den Küsten siedelten, fehlte bis ins 20. Jahrhundert ein brauchbarer Landweg durch alle amerikanischen Staaten, von Nord nach Süd. Bis 1923 auf der 5. Interamerikanischen Konferenz in Santiago (Chile) der phantastische Plan entstand, schließlich eben diese Straße durch ganz Amerika zu bauen - "Panamericana" genannt. Es existierte sogar eine Resolution samt Präambel, mit hehren Absichten: "Diese Straße soll die Staaten und Völker Amerikas miteinander verbinden. Sie soll aber nicht nur Handelsweg für Waren und Güter sein, sondern auch der Idee des allgemeinen Friedens und der gemeinsamen friedlichen Ziele der Völker dienen." Vier Jahre später einigte sich diese Interamerikanische Konferenz sogar schon auf den ersten Generalplan: Demgemäß sollte jeder Staat seinen Teil der Panamericana selbst bauen; ausländische Gelder würden kleineren und ärmeren Ländern finanziell unter die Arme greifen.
In den USA stellte sich die Lage anders dar: Dort gab es bereits eine gut ausgebaute Infrastruktur, weshalb die Straßenbauer die Panamericana einfach in das Highway-System integrierten und nur teilweise neue Strecken planten. Allerdings dauerte es fast 20 Jahre, bis das gigantische Projekt erstmals Form annahm. Zwischen 1940 und 1945, als in Europa der schlimmste Krieg tobte, war in Mexiko und anderen mittelamerikanischen Ländern immerhin bereits zirka 62 Prozent der Trasse asphaltiert. Übrigens prüften Geologen, Meteorologen, Physiker und Ingenieure den Verlauf der Strecke nach streng wissenschaftlichen Kriterien. Umso erstaunlicher, dass ihre Ergebnisse sich weitgehend mit denen der Ureinwohner deckten, die bei ihren Wegen ihrem Instinkt vertrauten. So nutzten die Forscher beispielsweise das Straßennetz der Inka.
Achillesferse Alaska
Als einer der letzten Abschnitte, den die Planer in Angriff nahmen, galt der so genannte "Alaska Highway", kurz "Alcan" betitelt, ganz im bitterkalten Norden der Vereinigten Staaten. Als die Japaner Dezember 1941 überraschend in Pearl Harbor auftauchten und es dort folglich kräftig krachte, bekamen die Amis Angst um ihren nördlichsten Staat und begannen ab März 1942, quer durch die unwirtliche Wildnis, eine 1500 Meilen lange Straße zu bauen, die das bis dahin relativ unzugängliche Alaska mit dem "Mutterland" verbinden sollte. In Rekordzeit von acht Monaten war die Straße bis Fairbanks, mitten im Herzen von Alaska, fertig. 1948 gaben die dortigen Behörden den neuen Highway für den öffentlichen Verkehr frei. Heutzutage sind fast alle Teilstücke asphaltiert, und alle 30 bis 50 Kilometer erwartet den Autofahrer eine Tankstelle.
Bleibt noch der unwegsame Dalton Highway als jüngstes Teilstück der panamerikanischen Route, welcher Fairbanks über eine regelrechte Schotterpiste, mit imposanten Schlaglöchern garniert, über knapp 700 Kilometern mit dem nördlichen Eismeer verbindet. Für die Geburt dieser Straße, vor Ort auch als "Alaska Route 11" bekannt, sorgten im Jahr 1968 Erdölfunde in der Prudhoe Bay, am arktischen Ozean. Flugs bauten Ölcompanys eine transkontinentale Pipeline, die vom Bohrort direkt bis zum Hafen Valdez im südlichen Teil des Landes führte. Und direkt daneben verläuft, zumindest zur Hälfte der Strecke bis Fairbanks, der neue Highway. Und an seinem nördlichsten Punkt, in einem Arbeitercamp mit dem motivierenden Namen "Deadhorse", beginnt sie - die Straße aller Straßen, die über Tausende Kilometer und insgesamt zirka 15 Länder bis Ushuaia (Argentinien) führt - der südlichsten Stadt der Welt, die auf Feuerland eher ein tristes Dasein führt.
Startpunkt Deadhorse
Wer es also schafft, sein voll beladenes Gefährt bis zu jenem Deadhorse zu manövrieren, für den hebt sich hier die Startfahne zum wohl größten Abenteuer seines Lebens. Den Autofahrer erwarten zunächst eine als extrem uneben verrufene Fahrbahn, mit enormem Gefälle. "Hier ist nicht Good Old Germany, wo Ihr Euch alle paar hundert Meter an ein Strecken-Telefon hängen und Hilfe rufen könnt und eine Leitplanke vorm Absturz in höllische Tiefen schützt", warnen Einheimische. Ausgebuffte Reiseprofis empfehlen gar, den gesamten Dalton Highway mit angeschalteten Scheinwerfern zu fahren. Ferner sollte der Reisende weder auf der Straße anhalten, noch schneller als 80 brausen. Und unbedingt den überall entlangfetzenden Trucks Vorfahrt gestatten. Denn schließlich, so die Tourismusämter, sei die Strecke eben für Laster gebaut; Kleinwagen gelten hier oben als eine Art Beiwerk. Als ob dies noch nicht reichen würde, führt der Highway überdies mitten durch das Gebiet der Grizzlys. Daher raten Tierschützer, zu den Bären immer eine "gesunde" Distanz zu halten. Geht alles gut, rollt der Kleinbus nach wenigen Tagen schon durch die spärlichen Straßen von Fairbanks - praktisch der Beginn des berüchtigten "Alaska Highway".
Dort gilt es, sich mit Lebensmitteln einzudecken, bevor es auf "Alcan" geht, der kurz hinter Fairbanks - dem "goldenen Herz Alaskas" - noch einer harmlosen Ausfallstraße gleicht. Gleichwohl birgt dieser Highway, obwohl weitgehend asphaltiert, tückische Gefahren: Scharfe Kurven, gähnend tiefe Schluchten und jede Menge Bären, Elche und Karibus lauern am Wegesrand, um den Besucher willkommen zu heißen. Nach insgesamt exakt 2288 Kilometern (1422 Meilen) endet die Straße, längst auf kanadischen Grund und Boden, offiziell in der Kleinstadt Dawson Creek. Dort deutet die berühmte "Meile 0" auf den Beginn der Fernstraße, da von hier aus gezählt wird. Dennoch sollte der Autoreisende unterwegs nicht vergessen, im Ort Watson Lake - etwa auf der Hälfte der Strecke - am bekannten Schilderwald, einem Holzgestell für Nummern- und Ortsschilder aus aller Welt, seine eigene Tafel anzuhämmern. Fritz B. Busch, hier einst im Winter unterwegs, bemerkte, wie sich Truckerfahrer sich bei Unfällen gegenseitig ignorieren. Der Globetrotter sei gewarnt.
Auf den Spuren der Pioniere
Für den folgenden Abschnitt, der sich von Dawson Creek in British Columbia bis zur amerikanisch-mexikanischen Grenze hinzieht, findet sich die Panamericana - wie eingangs beschrieben - im bestehenden Straßennetz Südkanadas und der USA wieder. Daher kurven viele Abenteurer von Vancouver südwärts, treffen schließlich auf den legendären Highway Nr. 1 an der attraktiven kalifornischen Westküste. Klar, wäre möglich. Jedoch folgen Freaks gern den Urvätern der Panamericana Busch und Domnick, die fernab der Touristenströme eine alternative Route wählten: Beide ließen die Metropolen Edmonton und Calgary hinter sich, überquerten beim Fluss Missouri die Grenze zu den Staaten und ab ging's Richtung Yellowstone Nationalpark - ein einzigartiges Naturspektakel von der Größe Dänemarks, zum Bundesstaat Wyoming gehörig. Blaue Dämpfe, erloschene Vulkane und Geysire mit riesigen Wasserfontänen, die regelmäßig in den Himmel spritzen. Und dreist fordern zutrauliche Schwarzbären von jedem vorbeizischenden Auto "Wegezoll", allerdings als Naturalien wie Brot, Äpfel, Kekse und natürlich Schokolade. Längst gewöhnten sich die bepelzten Gesellen nämlich an die Menschen und ihre Wagen, verlassen sich auf das, was für sie abfällt. Wenn auch nicht jeder Traveller das Glück (oder Pech) hat, Wildtiere zu treffen. "Okay, wenn wir diese Reise noch einmal machen, dann bringe ich aus Deutschland aufblasbare Elche, Bären, Büffel und meinetwegen auch Kamele mit", schimpfte Frank Müller-May aus dem Busch-Team.
"Auf dem Weg" liegen - natürlich für amerikanische Verhältnisse - diverse landschaftlich reizvolle Ziele, die der Feuerland-Fahrer kaum auslassen sollte: Viele zieht es weiter in den Mormonenstaat Utah, nach Salt Lake City und an den unvergleichlich weißen Salzsee, welcher verwegene Mad-Max-Typen zu Rekordfahrten einlädt. Und nach einer Stippvisite im glamorösen Zocker-Paradies Las Vegas lockt Death Valley, das "Tal des Todes" - der tiefste (und wohl auch der heißeste) Punkt der USA. Und in Arizona warten noch der stets in fremdes Licht gehüllte Grand Canyon, der sich komischerwiese auf der Route kaum ankündigt, und das markante Monument Valley mit den kantigen Felsblöcken, bekannt aus vielen Hollywood-Schinken, auf einen Besuch. Als tolle Motive für die Kamera einfach ein Muss. Im krassen Kontrast dazu führen die Navajo-Indianer mit ihren Schafherden hier ein eher karges Leben.
Wer ist Frint Busbh?
Und mit der Grenze zu Mexiko beginnt Lateinamerika, und viele, selbst hartgesottene Tramper, erleiden einen Kulturschock: Dem Reichtum und Business-Leben auf der US-Seite stehen Gastfreundschaft, Lächeln, aber auch unsagbare Armut gegenüber. Wie unberechenbar sich Mittelamerika manchmal präsentiert, belegt eine Anekdote, die Fritz Busch und seinen Leuten an einer typischen Grenzstation passiert ist: Als die Deutschen die baufällige Baracke betreten, eröffnet sich ihnen scheinbar ein Tempel voller Gerümpel. An der Decke baumeln an morschen Drähten verstaubte Glühbirnen; wahllos räkeln sich irgendwelche alte Gepäckstücke auf dem Boden. Finster dreinschauende Beamten kloppen auf antiken Schreibmaschinen, füllen undefinierbare Formulare aus. Ein anderer Grenzler schält eine Orange, in dem er sie wie einen Bleistift spitzt; ein weiterer wälzt sich schlafend auf der Veranda. Nun gilt es, das Holzhaus an seinem "richtigen" Ende zu betreten.
Gelingt dies, wartet ein grimmiger Kollege, der seinen Schreibtisch offenbar als Schlafplatz betrachtet und den auch ein Pass-Dokument nicht aus der Ruhe bringt. Beim Nächsten hat die Reisegruppe mehr Glück: Nachdem der Beamte ein weiteres Papier, welches der Kopf von George Washington ziert (also eine Dollar-Note), erhält, entweicht ihm urplötzlich alle Starre, um per Maschine diverse Vordrucke auszufüllen. Allerdings mutiert Fritz Busch, sichtlich genervt, nun zu "Frint Busbh". Nach Erhalt eines Laufzettels, der ihn kreuz und quer durch die Baracke jagt, wobei er fleißig US-Geldscheine verteilt, offenbart sich ein Ziffernsalat: Die emsigen Uniformierten haben das amtliche Kennzeichen mit der Fahrgestellnummer verwechselt und als Fabrikat schließlich "Wolfsburg" eingetragen. Nach konfuser Kontrolle des gesamten Gepäcks zückt einer der Grenzer eine Spritze und killt im Innern der heißen Wagen mit einer Salve unbestimmten Gases jedes noch essbare Lebensmittel. Wohlgemerkt berichten Panamericana-Freaks ebenso von korrektem Check aller Papiere an den Grenzen. Aber laut Busch scheint es in Mittelamerika eindeutig mehr Schlagbäume als Staaten zu geben.
Joachim Eiding
Quelle: Der große Test, Fritz B. Busch, Copress-Verlag München, 1975 - Traumstraße der Welt, Hans Domnick, List Verlag München, Süddeutscher Verlag 1969 - Rad-Abenteuer Panamericana, Clemens Carle, Reise Know-How Verlag, 1994 - Traumstraße Panamerikana, Helmut Hermann, Reise Know-How Verlag, 1988 - Panamericana, Roland E. Jung, Artcolor Verlag Hamm, 1988 - Die Panamericana auf dem Motorrad, Burkhard Schäck, Reise Know-How Verlag, 1996 - Panamericana. Von Alaska bis Feuerland, Vivien Weise und Wolf Weise, Ed. Treves Trier, 1993
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