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Jeff LynneFoto: scap.com

Jeff Lynne

"Diebe mögen keine Sonne" nannte die deutsche Krimiautorin Irene Rodrian einst ihren Jugendroman über eine Clique blutjunger Detektive, die unerschrocken lichtscheues Gesindel überlistete. Hand aufs Herz, deswegen ist sicher nicht der Weg jedes Trägers einer Ray-Ban gleich auch mit Leichen gepflastert. Ganz sicher nicht im Fall des musikalischen Chefs der Classic-Rock-Band "Electric Light Orchestra" - Jeff Lynne, dessen schüchternes Antlitz selbst innerhalb von Gebäuden stets eine edle Sonnenbrille ziert. Denn der berühmte britische Sound-Virtuose gilt als einer der ganz wenigen Rockmusiker, die nach ihrer aktiven Zeit zum renommierten Produzenten mutierten. Egal ob Tom Petty, Ringo Starr, George Harrison oder gar Paul McCartney - alle riefen nach dem scheuen Genius aus Birmingham.

Schon als zarter Teenager klampfte Jeff, der am 30. Dezember 1947 das Licht der Welt erblickte, auf einer kleinen, zwei britischen Pfund teuren Plastikgitarre, mit nur einer Saite. Jedoch inspirierte ihn ein alter Recke ins Musikgeschäft einzusteigen: Nachdem Jeff in seiner Heimatstadt Birmingham ein Konzert der US-Ikone Del Shannon ("Runaway") besuchte, fasste er den Entschluss, eines Tages mit Musik sein Geld zu verdienen. Aber auch Roy Orbison und natürlich die Beatles prägten den jungen Lynne entscheidend. Mit Erfolg, stand er später bereits auf lokalen Bühnen, bis er 1966 bei der örtlichen Band "The Nightriders" einstieg, die sich bald in "The Idle Race" umtauften und Jeff Lynne sogar zum Frontmann machten.

Jeff LynneFoto: niot.net

Zweitprojekt ELO

Nach ersten Vinyl-Flops kehrte er den Jungens den Rücken, um sich der auf der ganzen britischen Insel bekannten Formation "The Move" anzuschließen. Hier schlug für ihn die Stunde des Schicksals. Denn er traf auf Kollegen wie Bev Bevan, Roy Wood und Richard Tandy, die ihn teils lange begleiten sollten. Trotz beachtlicher Plattenerfolge beschlossen Lynne und Wood, aus Gaudi ein Zweitprojekt zu starten, welches klassische Musik mit hartem Rocksound verband. "Ich sollte mit dem Electric Light Orchestra dort weitermachen, wo 'I Am The Walrus' aufhörte und das auf die Bühne bringen", erklärt Lynne seine Idee. Ursprünglich dachte er an eine 10-köpfige Combo, die mit Cellos, Violinen und Bläsern einen symphonischen Rock spielte. Es brauchte knapp zwei Jahre, um "The Move" in das neue Orchester zu verwandeln.

Aber die Mühe lohnte, die Fusion aus Klassik und Rock funktionierte. Alben wie "Electric Light Orchestra" (1972), "Eldorado" (1974), "Face The Music" (1975) und "Discovery" (1979) eroberten hohe Chart-Positionen; "A New World Record" (1976) und "Out Of The Blue" (1977) holten gar das begehrte Platin. Auch die Kurzrillen wie beispielsweise "Roll Over Beethoven" (1973), "Evil Woman" (1975), "Livin' Thing" (1976), "Do Ya" und "Turn To Stone" (beide 1977) und vor allem der Rock-Song "Don't Bring Me Down" (1979) erlangten Kultstatus und verschafften der Band den weitweiten Durchbruch. "Der grundlegende Unterschied zu den anderen Bands, die eine solche Melange versucht haben, liegt darin, dass ELO speziell für diese Art von Musik gegründet worden ist. Dementsprechend hat ELO von vornherein die dazu notwendige Instrumentierung berücksichtigt", lobte der "Melody Maker".

Jeff LynneFoto: blog.cdn.com

Disco-Very

Vom Stil her wechselten sich gediegene Streicher-Passagen mit harten Gitarren-Riffs ab. Wobei Lynne, als Komponist für fast alle Titel verantwortlich, den Sound der Band immer dem Zeitgeist anpasste: Erwies sich der neue Musik-Cocktail anfangs noch als etwas unausgegoren, glückte ihm bald eine ausgereifte Klang-Harmonie, in der beide Richtungen - Klassik und Rock - sich eindrucksvoll ergänzten. Bis Jeff gegen Ende der 70er die Streicher-Section entließ, um sich mit der Langrille "Discovery" aufs Disco-Parkett zu wagen. Zwar errang das Werk Platin-Status, jedoch zerrissen die Kritiker diese Songs als banal in der Luft. Die Folge: erneuter Stilwechsel mit dem Album "Time" (1981) hin zum elektronischen Sound. Doch Meister Lynne, von der Kritik geschockt, wirkte ausgebrannt; die Folgealben liefen dem früheren Glanz hinterher. "Ihnen magelte es an Inspiration, da ich selbst keinerlei Inspiration hatte. Ich hatte wirklich genug nach 'Time', es machte einfach keinen Spaß mehr", erinnerte sich Lynne Anfang der 90er. Die letzten zwei ELO-Platten "Secret Messages" (1983) und "Balance Of Power" (1986) verfehlten dann auch den Geschmack der Fans.

Schließlich löste Jeff Lynne, vom Leben enttäuscht, die von ihm begründete Band nach etwa 100 Millionen weltweit verkaufter Alben auf, um sich seiner Solokarriere zu widmen. Fortan mischte er als Produzent im Studio Bänder ab, entwickelte neuen Sound. Davon profitierten namhafte Interpreten wie George Harrison, Tom Petty, Helen Reddy, Roy Orbison und auch Del Shannon. Nur zwei Jahre darauf lockte ihn Ex-Beatle Harrison in sein Super-Projekt "Traveling Wilburys"; hier haute Jeff neben Petty, Roy Orbison und Bob Dylan kräftig in die Saiten. Aber trotz allem zog es Lynne doch eher ins Studio: "Ich mache lieber Platten als live zu spielen." Nur, das sein erstes und bislang einziges Solo-Album "Armchair Theatre" leider komplett floppte. Dafür erfüllte sich der begnadete Sound-Tüftler einen alten Lebenstraum: 1994/95 trat er in die Fußstapfen des Beatles-Produzenten George Martin und wirkte bei der Anthology der "Fab Four" ("Free As A Bird") mit. Hernach bat ihn Paul McCartney um seine Mithilfe an seiner CD "Flaming Pie" von 1997.

Comeback mit Zoom

Jeff Lynne, der mittlerweile allein über die Rechte am Gruppennamen von ELO verfügte, gab im Jahr 2001 das erste Album der Band ("Zoom") nach 15 Jahren heraus. (Allerdings ohne seine alten Mitstreiter, die als "ELO Part 2" und später "The Orchestra" relativ erfolglos durch die Lande zogen.) Obwohl das Opus wieder stark an den Sound der späten 70er erinnerte, verkaufte es sich nur mäßig. Daher verebbte dieses Musik-Comeback recht schnell. Was die renommierte "Washington Times" nicht daran hinderte, Mr. Lynne den viertgrößten Musik-Produzenten aller Zeiten zu nennen. Schon lang zog sich der menschenscheue Künstler aus dem für ihn engen Europa zurück, um im fernen Los Angeles relaxt zu leben. Es kursieren Gerüchte um ein neues Solo-Album. Allerdings scheint fraglich, wann und ob es überhaupt kommt.

Joachim Eiding

Quellen: elo.biz - elofans.com - face-the-music.de - legacyrecordings.com - ftmusic.com - was-war-wann.de - allmusic.com - discographien.de - Das neue Rock-Lexikon, Barry Graves, Siegfried Schmidt-Joos und Bernward Halbscheffel, Rowohlt, 1999

 

music4ever.de - Was macht eigentlich ... - Nr. 56 - 5/2011