»Was glänzt, ist für den Augenblick geboren.
Das Echte bleibt der Nachwelt unverloren.« (Goethe)
... eine leicht satirische Abhandlung über Poesie, Kitsch, Schlager und Zeitgeschmack
Ich möchte euch einen Witz erzählen: »Treffen sich drei Musikredakteure und sind einer Meinung ...« Das wars schon ... gut, oder? Natürlich hat dieser kleine Witz einen Hintergrund. Unsere Jukebox lebt von Leser-Wünschen, und doch gibt es Grenzen dessen, was wir dort vorstellen wollen. Ein Kollege kann schon den Namen G. Horn nicht hören (deshalb abgekürzt), ein anderer findet, dass T. Wynette auf den UN-Index inhumaner Musik gesetzt werden müsse. Nun, wir haben uns darauf geeinigt, dass nun mal auch Schnulzen und Schlager zur Musik gehören, insbesondere in der Retrospektive zum Zeitgeist der »Oldie«-Aera, dass wir allerdings zusehen müssen, dass unser Qualitätsanspruch nicht zu kurz kommt. Also darf auch solche Musik in die Jukebox; es wird ja niemand gezwungen, die Hörprobe laufen zu lassen und dafür zu stimmen.
Pot Ananda
Grund der Diskussion war Ronny mit »Einmal vergeht der schönste Sommer« (1974), eine Neuvorstellung aus Runde 78; kam nicht in die top-10. Was ist so schlimm an diesem Lied? Ist es eine Schnulze? Ein Schlager, ja, schon. Aus dem sehr poetischen Original von Arlo Guthrie ist ein banaler Allerwelts-Text geworden, den man zwar noch anhören kann, aber nichts versäumt, wenn man das unterlässt. Klar, für alle, die Arlos Musik lieben, ist das schon ein Frevel. Doch wo beginnt die Schnulze? Fräulein Wikipedia meint, der Begriff definiere sich über die Zuordnung zum sentimentalen Kitsch. »Kitsch« ist etwas schwülstiges aber inhaltsleeres, und »sentimental« bedeutet, dass dabei subtil Gefühle angesprochen werden. Also ein Spiel mit Emotionen, mit Liebe, Schmerz und Glück, ohne dass man sich dabei mit den Themen an sich auseinandersetzt. »Masala Pot Ananda«, Tütensuppe für die Seele. Das ist nicht schlimm, hat sicher seine Berechtigung, aber mit »oldies but goldies«, dem m4e-Motto, wenig zu tun.
Cliff Barnes
Den unsympathischen Liebling einer bekannten US-Soap hat die weit weniger bekannte Indie-Country-Band »CBATFOW« im Namen. Eines ihrer Lieder heißt »I Hate Tammy Wynette«. Oben angesprochener Redakteur besitzt diese Platte natürlich ... aber was ist eigentlich so schlimm an Tammy? Gut, sie war Country-Sängerin. June Carter war auch Country-Sängerin. June Carter war besser, intellektueller, kritischer. Tammy sang Country-Schlager, das ist der Unterschied. Ja, und sie machte das gut, ist noch über zehn Jahre nach ihrem Tod weltweit bekannt. Sehen wir uns eines ihrer Lieder näher an.
Stand by Your Man ...
»But if you love him, You'll forgive him - even though he's hard to understand« fasst schon die hauptsächliche Aussage zusammen. »Der Typ spinnt, vergib ihm, liebt euch trotzdem weiter, da habt ihr am meisten davon«, sehr frei übersetzt. Ja, das mag trösten, mag sogar richtig sein, aber es ist Glanz für den Augenblick, wenig poetisch, kaum philosophisch, aber musikalisch perfekt, etwas kitschig mit bezaubernder Stimme vorgetragen. So etwas muss man doch covern können, das gibt nochmal Millionen ... also versuchen wir mal:
»Steh fest zu deinem Mann - gib ihm ein Ziel im Leben - du kannst ihm Wärme geben - denn Nächte sind kalt und so einsam - steh fest zu deinem Mann ...«
Oder so ähnlich. Nun, das hat ja immerhin eine Aussage, ist nicht komplett banal. Doch was macht die deutsche Cover-Version daraus? Sie toppt jede Banalität: »Wer Lie-hie- Hiebe suuucht«, das ist doch abgründig, pervers, Sado-Maso. Pfui. »Nieeee meeehr Hallein« - warum wird hier ein so netter österreichischer Wintersport-Ort in ein so schlechtes Licht gerückt? Das werde ich nie verstehen. Dazu diese furchtbare Verschnulzung des Instrumental-Satzes, grauenhaft. »Un seau pour monsieur.« (Einen Eimer für diesen Gast, bitte). Den Namen der Interpretin nenne ich nicht, denn das soll hier keine Anklageschrift werden, auch Trittbrettfahrer-Mittäter sollen verschont bleiben, und außerdem ist die Sache juristisch verjährt.
Bratskich narodow sojus wekowoi
Im Osten geht die Sonne auf, sagt man. Im speziellen Fall hat eine wunderschöne Frau aus der UdSSR ihre amerikanische Kollegin gerettet. Sie hat das Cover gecovert, denn Ami-Texte gingen gar nicht in der UdSSR, deutsche hingegen schon. Also trug sie den deutschen Text zu Tammys Hit vor, allerdings mit einer Instrumentalisierung, die man fast schon wirklich anhören kann, die sich jedenfalls nach dem Original richtet, wenn auch mit vieeel russischer Säääle gewürzt: Sofia Rotaru. Ja, ich bin Fan von Sofia Rotaru, wenn schon Schlager gespielt werden müssen. Da kann man traurig, verliebt, glücklich sein; die Musik passt immer, das sprengt die Banalität und öffnet die Seele. Wirklich.
D.I.V.O.R.C.E
Dabei war Tammy nicht nur die »Lala«-Sängerin, wie sie oft gesehen wird - der Song von CBATFOW spielt genau auf dieses Image an -, sondern hatte auch nachdenkliche und ernste Themen im Repertoire. Ihr Lied »D.I.V.O.R.C.E.« handelte von Trennung und Scheidung, es sorgte im prüden Country-Music-Amerika für einen Skandal - und das, obwohl sie die »bösen Worte« nur buchstabierte und nicht aussprach. Das Cover des schottischen Musikers und Komikers Billy Connollys (Nr. 1 der BBC-Charts 1975, s. Jukebox Nr. 81), dessen Text von einem Hund handelt, der Angst vor dem Tierarzt hat und ausflippt, ist weniger als Parodie auf die Sängerin zu verstehen, sondern als Parodie auf die seltsame Prüderie, die es verbietet, Dinge beim Namen zu nennen. In gewisser Weise ist schließlich jede Parodie auch eine kleine Hommage …
Plattling
Mitte der 1980er geschah etwas wundervolles. Hans übte mit seiner Schwester Party-Musik ein, klar, um sie bei einer Party vorzutragen. Niemand erahnte, was dies nach sich zu ziehen vermochte: der deutsche Schlager wurde auf ein Mal lustig. Ja, wirklich, lustig. Plötzlich hieß ein Schlager schlicht »weil I di mog«, und die Botschaft war erfrischend: »I denk bei Dog und Nacht nua no an di.«
Sogar Thomas G., Radio-Moderator und CSU-Mitglied, konnte sich diesem Angriff unchristlicher Freude auf den Schlager nicht erwehren und spielte das eine oder andere Lied. Dummerweise sagte er den Titel »I bin a boarisches Cowgirl« als »I bin a boarisches Callgirl« an. Darüber schwärzte die Presse viel Papier. Thomas entschuldigte sich mit den Worten, er sei einfach ein »boarischer Saukerl« und spielte quasi als Wiedergutmachung im Gegenzug 53 Jahre lang die Sängerin aus Plattling in seiner Sendung rauf und runter. Durch diese Heldentat wurde möglich, dass im Bayerischen Rundfunk ein paar Jahre später der »Anton aus Tirol« gespielt werden durfte. Hut ab. Thomas und die beiden Plattlinger haben die deutsche Musik gerettet.
Jakob Krieger
Links: CBATFOW, Cliff Barnes and the Fear of Winning: godsatwork.com ... - Sofia Rotaru: youtube.com~c3xqBK6QDXs ...
Glossar
Guildo Horn ist bekannt für seine Schlager-Parodien, allerdings auch für eine Art von Humor, mit der nicht jeder klarkommt. 1998 belegte er den siebten Platz im Eurovisions-Contest mit »[Piep - piep - piep -] Guildo hat euch lieb« (komponiert von Stefan Raab); das Echo war geteilt.
Arlo Guthrie, bekannt aus dem Film »Alice's Restaurant« und seinem Auftritt am Woodstock-Festival, ist ein poetischer Sänger, den die Zeit der Proteste gegen den Vietnam-Krieg sehr geprägt hat. Mit seiner melancholischen Interpretation der Steve-Goodman-Ballade »City of New Orleans« verbindet er den Traum einer friedlichen Vergangenheit der USA mit der Hoffnung auf eine friedliche Zukunft. Bei seinen Fans kamen die deutschen Adaptionen, die vom originalen Inhalt des Textes rein gar nichts transportierten, sehr schlecht an. So wurde daraus bei Ronny, der u.a. für Heintje komponierte, ein eher banales Klagelied über verregnete Sommer, das dann in der Interpretation von Rudi Carrell 1975 in die Top-Ten kam.
June Carter war als Kind mit der »Carter Family« auf allen Country-Bühnen der USA und wurde später als »darling companion« und Ehefrau von Johnny Cash bekannt. Ihre Solo-Karriere mit künstlerischen Country-Interpretationen ging an der Wahrnehmung in Europa weitgehend vorüber.
Tammy Wynette war im Gegensazu zu June Carter eher eine kommerzielle Country-Schlager-Sängerin. In den USA kennt sie heute noch jeder, bei uns landete sie genau einen Erfolg: »Stand By Your Man« - allerdings erst nach der deutschen Cover-Version »Wer Liebe sucht« (wurde von mehreren Interpreten bekannt, u.a. Marianne Rosenberg, Marion Maerz, Daliah Lavi …). Speziell die deutschen Cover wurden musikalisch dem Massengeschmack der Zeit angepasst und re-arrangiert - manche davon kann man heute deshalb kaum noch ertragen (daher die Anspielung auf das Eimer-Zitat aus dem Film »The Meaning of Life« von Monty Python). Wer in den 1970ern und 80ern »AFN« empfangen konnte, erinnert sich daran, dass es keine Country-Sendung ohne Tammy gab; so beliebt war sie.
CBATFOW, »Cliff Barnes and the Fear of Winning« war eine Punk-Band, deren Country-Parodien ebenso legendär wie geschmacklos sind: »No one got an asshole like a cowboy, but this makes up for the lack of a brain« - der Legende nach auf Willie Nelson gemünzt, der die Band daraufhin nicht mehr mochte. Ihr Lied »I Hate Tammy Wynette« ist kaum freundlicher - es handelt um einen jungen Mann, der mit dem Auto verunglückt, aus Verzweiflung darüber, dass im Radio schon wieder Tammy gespielt wird. Dagegen ist Billy Connollys Cover wirklich harmlos.
Sofia Rotaru ist in Westeuropa so gut wie unbekannt. Der Autor gibt ehrlich zu, ihre Version von »Wer Liebe sucht« zufällig gefunden zu haben. Allerdings ist das Arrangement wirklich flott und interessant, ganz anders als die deutschen Hit-Versionen.
Thomas Gottschalk bekam 1976 erstmals im Bayerischen Rundfunk einen Sendeplatz für täglich eine Stunde »Pop nach acht«, in Anbetracht des damals Üblichen war das ein gewaltiges Experiment. AFN bekam man nicht überall, Privatsender waren noch verboten, und so schlug die Idee ein wie keine zweite. Vielleicht lag das auch daran, dass er es durch seine gewisse charmante Art schaffte, dass man ihm nicht dreinredete. So nahm man ihm auch die »Cowgirl/Callgirl/Saukerl«-Geschichte nicht übel. Jedenfalls trug dieser Vorfall dazu bei, dass sich Nicki aus Plattling, die ihre Party-Schlager-Musik bei einem Talentwettbewerb in Landshut vorgestellt hatte und in Folge ihren ersten Plattenvertrag bekam, über Nacht bekannt, ja berühmt wurde. Erst später, als sie versuchte, ernsthaft zu werden, flaute das Publikumsinteresse langsam ab.
music4ever.de - Extra - Nr. 50 - 11/10