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Lothar von Versen, Liedermacher, Satiriker und Buchautor

Die Macht der Satire

zum anhören: »der Barde« (mp3, volle Länge)
zum weiterlesen: »lotharvonversen.de« (LvV home)

Herr von Versen, Sie gelten als Urgestein der Berliner Liedermacher-Szene. Wie würden Sie Ihr Programm am ehesten beschreiben?

Als Chansons und Satire, plaudernd-komödiantisch und möglichst nicht langweilig präsentiert.

In wie weit ist die Satire ein Mittel, Ihre Gedanken auszudrücken?

Sie ist das einzige Mittel, Gedanken wirklich deutlich zu machen, weil sie naturgemäß übertreibt. Und dann merkt es jeder, was gemeint ist. Alles Andere wäre normales Gerede oder pseudo-philosophische, beziehungsweise sozialpädagogische Anmaßung. Allgemeinplätze eben.

Lothar von VersenFoto: Borodino Concerts

Auf Ihrer Homepage beklagen Sie den Verfall der deutschen Sprache. Sehen Sie sich - überspitzt formuliert - in der Rolle des Retters?

Dazu bin ich viel zu klein, auch Tucholsky und sogar Karl Kraus hätten das nicht leisten können. Ich bin nur ein winziger Helfer bei dem Versuch den Brand zu löschen, der unsere einstige Kultursprache zu einem komischen, leicht lächerlichen Freizeitdialekt für alte Leute am Wochenende zu machen droht. Sprachlich gesehen ist Frankreich halt noch ein halbwegs selbstständiges Land; Deutschland ist längst nur noch eine amerikanische Kolonie, the District of Germany.

Sie sind seit den 70er Jahren musikalisch aktiv. Welche Kollegen Ihrer Zunft haben Sie persönlich kennen gelernt? Mit wem waren oder sind Sie befreundet? Sind Sie auch Ulrik Remy begegnet?

Ich habe natürlich Reinhard Mey und Co kennengelernt, besser noch Schobert und Black. Mit Ulrich Roski war ich regelrecht befreundet. Auf intellektueller Ebene und durch gemütvolle Gespräche über Frauen. Ulrik Remy habe ich auch ab und zu getroffen und habe ihn als umtriebigen, talentierten Kumpel geschätzt. Vielleicht hätte er länger durchhalten sollen als Liedermacher.

Wie haben Sie Ulrich Roski erlebt? In seinen Liedern schien er teils humorvoll-heiter, teils aber auch düster und dunkel zu sein.

Er hatte Vergnügen an seinen kauzigen, verqueren Figuren. Er war ein Tüftler, ein Bastler des Humors, nach Georg Kreisler der zweitgrößte deutsche Humor-Sänger aller Zeiten. Er besaß -sagen wir einmal - einen niedlich-hilflosen Charme, der ihn bei Damen gut ankommen ließ. Und was das Düstere angeht, so ist das übertrieben, denn die Melancholie gehört untrennbar zur Komik. Nur bescheuerte Comedians geben vor, immer lustig zu sein. Wenn man diese Penner und ihren Erfolg sieht, kann man einen neuen Ulli Roski nur herbeiwünschen. Oder er käme zurück, aber das geht ja wohl schwer. Daran sehen Sie, dass er mir fehlt. Und nicht nur mir. Hoffentlich !

Lothar von VersenFoto: Borodino Concerts

Wie würden Sie Ihr aktuelles Album "Walzer für Unreife" beschreiben?

"Reife ist die Kunst am Leben vorbeizugehen", geniales Zitat meines Bruders Lutz von Versen, Lungenarzt in Berlin. In diesem Sinne sind alle Chansons auf meiner aktuellen CD unreif. Sie hat außerdem berlinische Züge, weil sie teilweise versucht, die berlinische Mundart als Gesangssprache, als LINGUA CANTABILE durchzusetzen. Der Hauptstadtdialekt ist in Gefahr, weil Türken und Schwaben ihn schlecht artikulieren. Ich bin - zusammen mit ein paar unangepassten Ossies - bald der einzige Mensch, der noch berlinern kann. Ich will das erhalten. Und außerdem der Kirche neue Wege weisen. Das manifestiert sich in dem genialen Lied eines großen christlichen Animators. Ich meine natürlich das Chanson UNSER ABT, von uns Benediktinern. Ein Titel, den erwartungsgemäß kaum eine deutsche Rundfunkanstalt spielt. Aber das bin ich ja gewohnt.

Mit welchen Musikern treten Sie auf?

Mit Ralf Ehrlich, dem pianistisch gewieften Ossie, mit Frank Getzuhn, Dr. phil. und Wessie, mit meiner Nichte Miriam - aber das ist mehr kabarettistisch -, mit dem Jazztrompeter und Kabarettautor Michael Bootz.

Auf welchen Bühnen können wir Sie erleben?

Im CHARLOTTCHEN in Berlin, in Kurorten, Kleinkunstbühnen, Kirchen, Jugendheimen, Musikkneipen überall in Deutschland und der Schweiz. Das macht Spaß, aber die wirkliche Chansonsehnsucht zieht mich nach Frankreich, denn ich glaube, wie Nietzsche übrigens, dass es eigentlich nur französische Bildung gibt und alles Andere ein Missverständnis ist.

Sie beschränken sich in Ihrem Werk nicht nur auf die Musik, sondern engagieren sich auch literarisch. Welcher Art sind Ihre Bücher?

Dabei handelt es sich, den Kurzroman HARLEKIN IM HERBST ausgenommen, um Sammlungen satirischer Kurzgeschichten.

Dieter Hildebrandt hat einmal gesagt: "Ein Satiriker ist ein Irrer, der versucht, Elefanten mit einer Mausefalle zu fangen." Was vermag Satire aus Ihrer Sicht zu erreichen, was darf sie und wo ist ihre Grenze?

Sie ist eigentlich nur das fröhliche Pfeifen des kleinen Jungen im dunklen Keller. Sie darf alles (Tucholsky), sie erreicht damit fast nichts und ihre Grenze liegt da, wo sie faschistisch-elitär und rassistisch zu werden droht oder anfängt etwa über Behinderungen zu spotten.

Welche Zukunft hat Satire Ihrer Meinung nach?

Eine große, denn die Zukunft lässt sich wohl nur satirisch ertragen.

Herr von Versen, herzlichen Dank für das Gespräch!

Interview: Joachim Eiding

music4ever.de - Interview - Nr. 26 - 11/08