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Ulrik Remy, Liedermacher, Komponist und Autor

Wie war die Situation der Liedermacher in den 70er Jahren?

- Herr Remy, in den 70er Jahren waren Sie als Liedermacher sehr bekannt, haben "Die Kneipe" und "Die Zeit zwischen 6 und 8" besungen und vieles mehr. Wie haben Sie diese Zeit persönlich erlebt?

Schwierig, das in ein paar Sätze zu fassen. Ich war so ziemlich ständig unterwegs, habe bis zu 200 Konzerte pro Jahr gegeben, plus Rundfunk- und TV-Auftritte und Aufnahmen für die nächste LP - ich liebte dieses Unterwegs-Sein, und es lieferte ja denn auch Material für viele meiner Lieder.

Andererseits beeinträchtigte es meine persönlichen Beziehungen doch ziemlich. Erfolg war leicht zu haben, und Menschen, Orte, Erlebnisse wurden im Laufe der Zeit austauschbar. Das ist Gift fürs Ego und ich bin zeitweise sicherlich ein ziemlich arroganter Knilch gewesen.

Eine schöne Erinnerung ist, dass meine nachdenklicheren, problematischeren Lieder vom damaligen Publikum viel stärker gefragt waren als die "Hits", und dass sie sich auch auf die Dauer besser gehalten haben. Es war ein ständiges Balancieren zwischen dem kommerziellen Erfolg und dem, was man eigentlich aussagen wollte. Auf jeder LP mussten mindestens ein, zwei Titel sein, die kommerziellen Erfolg versprachen - wie "Die Kneipe", "In der Zeit zwischen 6 und 8", "Apfelsaft-Ballade", "Götz von Berlichingen", "Winterlied", "Oh Mann, ist das schön" und viele andere. Und das verschaffte mir dann den Freiraum, die "sperrigen", die scheinbar unkommerziellen Songs mit einzubauen - sehr zum Missvergnügen der Schallplatten-Gewaltigen.

Alles in allem hab ich viel gelernt in dieser Zeit, hab viel Zuneigung und sogar Liebe erhalten von völlig Fremden, und habe - wie ich aus persönlichen Gesprächen, Briefen und E-Mails weiß - viele Menschen berührt, mehr, als mir das damals bewusst war.

- Wie ist Ihnen der Kontakt zu den Schallplattenfirmen gelungen?

Das ist 'ne ganz witzige Geschichte. Ich war - das muss so 1970, 1971 gewesen sein - in Köln als Kneipensänger schon ziemlich populär. Offiziell studierte ich noch Jura, aber meistens hing ich irgendwo in den Studentenkneipen herum und klampfte mir meine tägliche Bier-Ration zusammen.

Eine meiner Stammkneipen war Gilbert's Pinte am Zülpicher Platz ("Die Kneipe" ist über dieses Etablissement geschrieben worden). Und fast jeden Samstag waren dort die Insterburger zu Gast, die beim WDR damals die Sendung "Unterhaltung am Wochenende" machten. Gott, die konnten schlucken!

Karl Dall (der später eine beachtliche Solo-Karriere machte) hörte mich dort singen, gab seinem Produzenten Lutz Sternberg bei der Hamburger Phonogram einen Tipp, und ich bekam eine Einladung, mich dort vorzustellen. Der Rest ist Geschichte ...

- Welche Rolle hat in Ihrer Karriere der damals schon recht bekannte Reinhard Mey gespielt? Einige Kollegen haben ihn durchaus zwiespältig gesehen: einerseits positiv als Vorkämpfer einer neuen Musikrichtung, andererseits eher negativ, weil es manchmal sicher schwer war, sich aus seinem Schatten zu lösen.

Sicherlich hat Reinhard Mey viele Türen aufgemacht, die zuvor verschlossen gewesen waren. Aber meine erste Plattenfirma machte den Fehler, mich in dem Presse-Bericht zu meiner ersten LP als den "Thronfolger im Reich der Liedermacher" anzukündigen, und das ging natürlich kurz vorm Klo noch in die Hose. Ich wurde jahrelang darauf angesprochen, obwohl ich mit dieser Schlagzeile nichts zu tun hatte.

Ich glaube, dass unter solchen Schlagworten viel Porzellan den Weg allen Porzellans geht. Reinhard Mey hat einen Markt erschlossen, der erschlossen werden wollte. Er hat es auf eine gefällige Art und Weise getan, die Erfolg versprach. Ich habe mich - nach der anfänglichen Irritation durch diese dusselige Werbung - sehr schnell aus seinem "Schatten" befreien können. Reinhard Mey kommt vom französischen Chanson her, ich komme aus der amerikanischen Folk-Rock Szene. Mein Hauptkonkurrent - wenn überhaupt - wäre also Hannes Wader gewesen.

Aber ich bin kein Freund von solchen Kategorien. Jahrelang wurde ich als "der deutsche John Denver" bezeichnet. Manche Leute bezeichneten John Denver als den "amerikanischen Heino". In was für eine Lage bringt mich das?

Ulrik Remy

Klar ist, dass ich niemals so leicht einen Plattenvertrag bekommen hätte, wenn Reinhard Mey den Markt nicht für unseresgleichen geöffnet hätte. Aber der Markt war reif für Alternativen zu "Ganz in Weiß" und "Das schöne Mädchen von Seite 1". Ich hab mich sechzehn Wochen lang mit Vicky Leandros um Platz Eins der Musikmarkt-Hitparade gestritten - dann schon lieber Reinhard Mey.

- Kannten oder kennen Sie Reinhard Mey persönlich?

Wir sind uns bei der Berliner Funkausstellung am Stand der Intercord begegnet, aber wir hatten nie Gelegenheit, eine persönliche Beziehung zu etablieren.

Generell kann man sagen, dass es persönliche Beziehungen zwischen Liedermachern relativ selten gab. Man begegnete sich bei bestimmten Veranstaltungen, aber dort war die Atmosphäre dann immer sehr konkurrenz-geladen, man konnte sich nicht einigen, wer nun der Platzhirsch war - schade.

Freundschaftliche Beziehungen hatte ich damals zu Schobert und Black, lange Zeit auch zu Lothar von Versen, mit Joana hab ich mich gut verstanden, Ray Austin und Rick Abao waren gute Kumpels. Ich hatte auch erstaunlich viele gute Beziehungen zu Leuten aus dem Schlager-Bereich, vielleicht, weil da die Konkurrenzfrage keine Bedeutung hatte.

- Ihre Lieder waren damals von leisem Spott und auch deftiger Ironie gekennzeichnet. Aber zu den politischen Liedermachern wie Lothar Föllmer oder Lerryn haben Sie damals nicht gehört. Wie sehen Sie das?

Soweit ich weiß, war Lothar Föllmer eher einer von den "Blödel"-Barden, aber mit Lerryn liegen Sie sicher richtig.

Ich habe Politik nie als Parteipolitik verstanden. Ich glaube auch heute noch, dass alles Handeln aller Menschen als politisch zu werten ist. Insofern sind meine Lieder politisch. Und auch nur insofern.

Wenn ich - mit leisem Spott oder deftiger Ironie - die alltäglichen Erlebnisse, Wachträume, Sorgen, Hoffnungen und ähnliches meiner Mitmenschen dargestellt habe, habe ich das durchaus mit dem hochpolitischen Anspruch der Aufklärung, der Bewusstmachung, verbunden. Gegen die ideologische Ausbeutung eben derselben Erlebnisse, Wachträume, Sorgen und Hoffnungen habe ich mich immer gewehrt.

Mit dem Lied, das ein äußerst manipulatives Medium ist, läuft man immer Gefahr, die Grenze zwischen Aufklärung und Agitation zu überschreiten, und es war nie mein Ziel, zu agitieren. An einem Punkt, mit einem Lied ("Der Wind wird stärker jeden Tag") habe ich bewusst agitiert, mit einem Erfolg, der mir heute noch eine Gänsehaut verursacht, und habe anschließend, und auch deswegen, meine Karriere beendet.

- Sie haben gegen Ende der 70er Jahre Ihren Musikstil etwas verändert wie beispielsweise im Lied "Rosen für Mama". Wieso?

Das war eines der tragikomischsten Dinge, die mir je passiert sind! "Rosen für Mama" war als Parodie auf den damals immer noch gängigen deutschen Schlager konzipiert. Ingfried Hoffmann und ich haben beim Arrangement wirklich alle Register dieser Kunstform gezogen - mit dem total unbeabsichtigten Resultat, dass das Ding dann tatsächlich in Schlagerparaden und Muttertags-Wunschkonzerten gedudelt wurde. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie peinlich mir das war! Es war, als ob man einen Witz erzählt, und jemand lacht an der falschen Stelle.

Nein, die Veränderungen in meinem Musikstil fanden sicherlich nicht in Richtung Kartoffelbeat oder Trompeten-Terzen statt. Es ist richtig, dass ich versuchte, meine musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten zu erweitern, und "Der Eismann", "Die Stadt mit den Neonaugen", "Mann im Spiegel" und "Die Mauer" sind feine Beispiele dafür.

Warum? Ich glaube, das liegt in der Natur der Sache. Man ist als Künstler immer mit dem Überschreiten von Grenzen beschäftigt. Die Re-Produktion dessen, was schon immer so war, bleibt dem Kunsthandwerk vorbehalten. Dies führt auch zurück zum Kommerz-Aspekt Ihrer ersten Frage: Sicherlich wäre es kommerziell für mich sinnvoller gewesen, den Erfolg von "Die Kneipe" auszubeuten. Aber das hätte künstlerischen Stillstand bedeutet.

- Warum haben Sie einige Jahre später Ihre Karriere als Sänger aufgegeben?

Da kamen einige Dinge zusammen. Zum Einen war bei mir das Unbehagen über die manipulative Kraft des Mediums "Lied" ständig gewachsen und kulminierte in dem oben erwähnten "Erfolg" von "Der Wind wird stärker jeden Tag" beim Europawahltag der SPD auf dem Frankfurter Römer. Nach diesem Auftritt habe ich beschlossen, meine Bühnenarbeit zu beenden.

Dazu kam, dass ich mehr Zeit für meine sonstige Arbeit haben wollte, vor allem fürs Schreiben und fürs Theater, das ich fast 15 Jahre lang sträflich vernachlässigt hatte. Der Gedanke, dass "Die Kneipe" meine größte künstlerische Leistung bleiben sollte, war mir ziemlich entsetzlich.

Ein weiterer Grund war, dass mein kommerzieller Erfolg (den es trotz all meiner Bemühungen doch gab ...) eine ganze Reihe von sehr fragwürdigen Gestalten angezogen hatte, die sich nicht nur ein Stück vom Kuchen nehmen wollten - sie wollten den ganzen Kuchen und haben sich ganz tüchtig bedient.

Alles in allem spürte ich, dass es Zeit wurde. Ich hatte mit sieben Alben und mehr als 150 Liedern so ziemlich alles gesagt, was ich mit Hilfe dieses Mediums zu sagen hatte, und ich mochte mich nicht wiederholen und wollte auch nicht radikaler werden.

- Aus welchem Grund haben Sie Deutschland verlassen?

Na ja, das kam eigentlich ziemlich automatisch. Der äußere Grund war sicherlich, dass die erwähnten kriminellen Machenschaften der Gruppe um meine geschiedene Frau und ihren Lebensgefährten mir buchstäblich die wirtschaftliche Grundlage entzogen hatten - meine sechste LP "Pflastertreter" haben sie mir regelrecht gestohlen, und ich habe bis heute keinen Cent Lizenzen davon bekommen.

Aber es gab daneben (und eigentlich wichtiger) eine ganze Reihe von "inneren" Gründen. Ich hatte nun einmal das Etikett "Liedermacher" auf der Stirn kleben, und das machte einen frischen Start in einem anderen Medium praktisch unmöglich. Stellen Sie sich vor, dass Sie mit einem Theaterstück zu einem Kulturdezernenten kommen, und alles, was Sie hören, ist: "Ach, sind Sie nicht der, der 'Die Kneipe' gesungen hat?" Ja, ich war der.

Politisch fühlte ich mich nicht mehr wohl in Deutschland. Das Anwachsen des Rechtsradikalismus machte mir Sorgen (ich war selbst das Ziel eines offensichtlichen erfolglosen Mordversuchs von Neonazis geworden), das breite Grinsen des Helmut Kohl erstickte das Land in Lethargie, und sein furchtbares Wort von der "Zweidrittelgesellschaft" war im Begriff, Wirklichkeit zu werden. Meine Freunde in der "linken" Szene wanderten entweder in die innere Emigration oder wählten den Weg in die Parteipolitik - was ich, zum Beispiel im Fall Lerryn sehr bewundere und respektiere, aber es wäre nichts für mich gewesen.

Und persönlich - sehen Sie, als ich acht Jahre später noch einmal versuchte, mich in Deutschland niederzulassen, kam die Presse, noch bevor auch nur ein Stuhl in meiner Wohnung stand, um darüber zu berichten. Ich hatte keine Chance, mein Leben ungestört weiter zu entwickeln.

- Welchen Projekten widmen Sie sich heute?

Da kann ich gleich an meine letzte Antwort anknüpfen: Ich hatte hier in Florida die Chance, wieder ganz von vorne anzufangen. Weit offenes, unbeackertes Gelände. Ich habe - nach etlichen Jahren Überlebenskampf - mich vor drei Jahren entschlossen, mich ganz auf die symphonische Musik zu konzentrieren. Habe in 2006 zwei große Sinfonien und eine Kantate fertiggestellt und arbeite momentan an meiner dritten Sinfonie. Es sprudelt nur so.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich kann mir das eigentlich, nach "normalen" Gesichtspunkten, nicht leisten. Der Preis, den ich für meine künstlerische Selbstbestimmung bezahle, ist hoch. Ich lebe, wie das schöne deutsche Wort heißt, "in Armut", schlage mich mit Gelegenheitsarbeiten durch und bin für jeden freiwilligen Beitrag, der über meine Website hereinkommt, dankbar.

Aber ich bin glücklich. Es ist mir, mit der Hilfe von Freunden, gelungen, einen großen Teil meiner Arbeiten auf meiner Website zusammenzufassen und zugänglich zu machen. Die Lieder aus den 70ern und 80ern sind praktisch vollständig da, dazu eine Menge unveröffentlichte, praktisch alle meine Gedichte, der Roman "Ohne Chance in Denpasar" und einige Geschichten - und vor allem: Ich kann Neues gestalten, ohne dass einer kommt und sagt: "Ach, sind Sie nicht der ... ?" Nee. Nicht mehr.

- Weil Sie in den USA leben, singen Sie auch in englischer Sprache oder können Sie sich künstlerisch besser in Deutsch ausdrücken?

Ich habe auch in Deutschland bereits viel in englischer Sprache gesungen und habe nach dem Ende meiner Bühnenarbeit an etlichen Festivals in der ganzen Welt teilgenommen - auf Betreiben meines Freundes und Verlegers Dieter Liffers. Auch in Italienisch und Spanisch habe ich Lieder geschrieben und gesungen, sogar in Papiamentu.

Schwer zu sagen, ob ich mich künstlerisch besser in Deutsch oder Englisch ausdrücken kann. Das amerikanische Englisch hat viele reizvolle Schattierungen, die Raum für Zwischentöne geben, und ist von daher ein wunderbares Medium - abgesehen davon, dass diese Sprache sich in atemberaubendem Tempo weiterentwickelt.

Aber ich denke, dass die deutsche Sprache mir doch ziemlich in die Haut eingewachsen ist, nach 45 Jahren Leben in Deutschland und 25 Jahren als Schriftsteller und Linguist. Es wird schwierig sein, über eine andere Sprache mit gleicher Souveränität verfügen zu können.

- Könnten Sie sich grundsätzlich vorstellen, nochmal Ihre Lieder aus den 70er Jahren auf einem Konzert zu spielen?

Vorstellen kann man sich beinahe alles. Grundsätzlich - warum nicht? Ob es ein ungeteiltes Vergnügen für die Zuhörer wäre, wage ich zu bezweifeln. Die Lieder sind schließlich alle mindestens zwanzig Jahre alt, und ich bin in der Zwischenzeit auch nicht viel jünger geworden.

Aber ich bin immer wieder erstaunt über die Reaktionen auf meine Website. Die meisten E-Mails, die ich erhalte, sprechen davon, dass meine Lieder heute "aktueller sind als damals", "großen Einfluss auf meine Entwicklung" gehabt hätten, gar "Meilensteine" gewesen seien - tut der alten Seele gut.

Vor ein paar Wochen hat sich ein Musikverlag gemeldet, der eine ganze Reihe meiner Lieder wieder herausbringen möchte. Ich kann jetzt noch keine Einzelheiten bekannt geben, aber es wird wohl in nächster Zukunft geschehen.

Wenn ich einen Wunsch äußern dürfte, so wäre es, dass es jüngere Künstler aus anderen Zeitdörfern und Stilrichtungen gäbe, die sich mit meinem Material beschäftigen. Das wäre wirklich spannend, zu hören, was sich daraus ergibt.

- Herr Remy, vielen Dank für dieses ausführliche Interview und weiterhin viel Erfolg und alles Gute.

Das Gespräch führte Joachim Eiding.

Erklärung (Eiding): Für die Ansichten, die in diesem Interview geäußert werden, bernehme ich keine Verantwortung.

music4ever.de - Interview - Nr. 10 - 10/07-I